Luisa ist eine junge, karrierebewusste Anwältin, deren Fachgebiet Wirtschaftskriminalität und Strafverteidigung ist. Sie arbeitet in einer sehr renommierten Kanzlei und kann sich berechtigterweise Hoffnung auf eine Partnerschaft machen. Darauf arbeitet sie nahezu rund um die Uhr hin, hat kein Privatleben und keinen Partner.
Ein Überfall greift in dieses wohl strukturierte Leben ein und bedroht ihre Coolness, da sich in ihrem Innern das Gefühl von Angst breit macht, das sie häufig vor Gericht bei überfallenen Frauen erlebt hat, wenn diese im Zeugenstand über das Erlebte erzählen müssen. Luisa war sich ihrer Hilflosigkeit bewusst, vor allem, dass sie dem busengrapschenden Verbrecher keine Gegenwehr entgegenbringen konnte. Das sollte sich ändern.
Auf ihre Bitte hin sucht ihre Sekretärin für sie einen Trainer, der ihr Selbstverteidigung beibringen soll. Allein der Name des Lehrers birgt für Qualität und „Arschtreter“ Ilja Rick kam ins Spiel. Die erste Begegnung verläuft für Luisa schmerzhaft und da sie ihre wahren Gründe für das Training bis zum Ende der Stunde verschweigt, erfährt Iljas erst sehr spät von den wahren Beweggründen seiner Schülerin, deren Beruf als Strafverteidigerin, er als ehemaliger Polizist, absolut nicht leiden kann. Kein guter Start.
Iljas Rick ist ein ehemaliger Polizist, der seinen Dienst quittiert hat und dann durch Zufall das wird, was man einen „Youtuber“ nennt. Er dreht Filme, die zeigen, wie man sich selbst verteidigen kann. Sein Schicksal, sein Leidensweg bleibt bis fast zum Ende nebulös, aber wer als Leser/Leserin sich selbst aus Angst vor weiteren Schicksalsschlägen das Lachen und das Glück schon mal verboten hat, der wird sich sehr schnell in den Andeutungen wiederfinden, die von der Autorin eingebaut worden sind.
Dann erhält Luisa ein Kuvert, das ihr klar macht, dass sie von nun an gestalkt werden würde: „Ich weiß, wo du wohnst“. Nun ist Ilja ihr Schutz, der von Amelie, Luisas Sekretärin, hinter deren Rücken unterstützt wird. Von nun an entwickeln sich die beiden Charaktere von Luisa und Ilja aneinander und miteinander und sind trotzdem meilenweit voneinander entfernt, weil der letzte Tic Ehrlichkeit, der letzte Tic mentale Nähe fehlt, der es bedarf, um eine Beziehung führen zu können. Das kann man kaum besser beschreiben, als die Autorin es beschrieben hat.
Ein Prozess, dessen Ende gleichzeitig das Ende des Stakens herbei führen sollte, eine Nacht in einer Kommune, die Offenbarung für alle war, eine Kündigung und eine neue, junge, so niemals erwartete Liebe, bringen die Handlung schlagartig voran. Birte – im Roman allgegenwärtig – unglaublich gut skizziert und doch ohne jede Bedeutung für die Handlung – oder doch nicht? Birte muss man lieben.
Wenn Farben Bildern Leben geben, wenn Pinselstriche ihnen Tiefe verleihen, dann malt die Autorin im übertragenen Sinn mit ihren Worten Bilder, schafft mit ihren bleistifftspitzen Formulierungen Tiefe. Kopfkino in höchster Vollendung. Besser kann man die Art der Autorin Jana Herbst zu schreiben, nicht beschreiben, mit Worten zu spielen, Vergleiche einzusetzen, mit Formulierungen Gefühlen Tiefe zu geben, die kaum ein Maler so malen kann.
Wer sich auf die Autorin Jana Herbst einlässt, wird sich in einem Meer verbaler Vergleiche wiederfinden. Jeder Vergleich, den sie den Lesern gibt, malt ein Bild und dort, wo es um Gefühle geht, wo es um Liebe geht, schafft sie Tiefe. Jeder ihrer Schauplätze hat sie recherchiert, die Orte aufgesucht, die sie beschrieben hat, Juristen regelrecht ausgequetscht, um die allerbeste Formulierung für ihren Roman zu finden, und ich bin mir sicher, dass es irgendwo einen Concierge, wie von ihr beschrieben, gibt.
Die Fähigkeit, seine Leser und Leserinnen an die Hand zu nehmen, und in das Werk hineinzuziehen, das ist die große Kunst des Schreibens und ich bin mir sicher, dass sie sich gerade nur warm schreibt und dass sie bald das Literaturwerk schreiben wird, auf das die Welt wartet.