Krückentage

Keinen Schreck bekommen, ich gehe nicht an Krücken, manchmal natürlich schon, aber eher mental als körperlich, noch. Was nicht ist kann noch kommen. Wer weiß schon was noch alles kommen wird? Es gibt Brückentage und mir scheint es gibt auch Krückentage. Ich meine nicht die Jungen, die sich beim Sport verletzt haben, oder die sich mühsam in die Normalität zurück kämpfen mit viel Geduld, Schmerz, Verzweiflung, Aufgabegedanken und  dennoch und trotzdem „Ich-gebe-nicht-auf-Gedanken“. (Das ist speziell für Lena, ich bewundere Dich für Deine Tapferkeit, Deine Art Vorbild zu sein, denn so manch Ältere hätten schon längst aufgegeben, aufgeben wollen oder gar aufgegeben. Lena, Du schaffst das!). Nein all jene Jungen und verletzte Sportler meine ich nicht.

Ich habe letzte Woche einen Tagesausflug unternommen und fand mich schlagartig in einem Krückentag wieder. Ich saß in einem wunderbaren Fischrestaurant in Hamburg, unten am Fischmarkt, ich glaube das ist genau am Übergang zur Hafenstraße und haben eine ganz wunderbare Scholle genossen und habe beobachtet wie sich das Lokal nach und nach gefüllt hat. Mit Menschen vom Krückentag, Seniorentreff. Natürlich sind Senioren mit und ohne Krücken, auch als solche einfach und deutlich zu erkennen. Senioren sind halt Senioren, uniform gleichfarbige Jacken in einem gedeckten Beige bis braun, okay es ist noch Winter und es war an diesem Tag, trotz Sonnenschein, schweinekalt, um nicht zu schreiben arschkalt, Haarfarbe blond bis grau, gelöckelt, selten  modern geföhnt. Die Haltung ein wenig gebückt, die Schultern leicht nach vorne gezogen, bereit zu einer Skoliose. Auf ein unsichtbares Zeichen kamen sie, ab genau einer abgesprochenen, festgelegten Zeit, ohne eine Reisegesellschaft zu sein, oder sich untereinander zu kennen. Seniorentag im Fischrestaurant. Wer nun glaubt, dass es an diesem Tag im speziellen Angebot als Seniorenteller gab, der irrt. Alles war, für mich jedenfalls, scheinbar normal. Überhaupt Seniorenteller. Ich finde das ist eine Diskriminierung, dass ich einen Seniorenteller bestellen muss, um eine größere oder eher kleinere Portion zu bekommen. Dabei ist das, was da als Seniorenteller angeboten wird, meist weit entfernt von dem, was ich essen möchte. Ich bin gespannt, wann es das erste Restaurant gibt, das große und kleine Portionen anbietet. Was bei der Pizza und all solchen Dingen längst schon möglich ist, sollte doch bei allem anderen auch möglich sein. Es standen auf der Karte zwei Seniorengerichte, aber was nutzt das, wenn ich das, was darauf zu liegen kommt, gerade nicht essen mag? Gerade als ich meinen Gedanken, über Krücken und Senioren, freien Lauf ließ, kam es mir schlagartig in den Sinn, dass ich so weit von Krückentagen nicht entfernt bin. Natürlich ist da immer noch ein gewaltiger Altersunterschied zwischen den Damen und Herrn der älteren Altersgruppen und mir gewesen, aber was schon diese paar Jährchen? Nix ist das, ein Hauch, ein Wimpernschlag im Zeitgeschehen, wenn überhaupt. Das sind Momente, da wird man schon mal ein wenig panisch, was aber disziplinär zu woppen ist, weil Frau sich sagt, das ist noch soooooo lange hin und bis dahin rocken wir ordentlich ab. Da geht noch was, da geht noch sehr viel. Übrigens war, ich glaube das war letzte Woche, eine Journalistin bei Markus Lanz, die ein Buch über das älter werden geschrieben hat und darüber gesprochen hat, wie wenig Frauen und auch Männer um die 50+ von der Umwelt wahrgenommen werden und, ehrlich, wirklich ehrlich, die Frau hat eine Menge Stuss gequatscht, was meine Freundinnen rundherum bestätigt haben. Sie hat ihr Buch mit Mutprobe: Frauen und das höllische Spiel mit dem Älterwerden überschrieben und zum Beispiel die Menopause als einschneidendes negatives Erlebnis für die Frau beschrieben. Ich kenne in meinem Umfeld keine Frau, die das als negativ empfunden hat. Alle waren sie froh, dass wiederkehrende körperliche Abläufe, die oft mit Schmerzen, Unwohlsein und keine Ahnung was nicht noch alles verbunden sind, ein für alle Mal vorbei waren. Keine, absolut keine dieser Frauen hat den fruchtbaren Tagen auch nur eine Träne nachgeweint. Und jetzt, Leute, und das sagen alle, die ich kenne, jetzt geht das richtig los und die meisten leben einfach nur auf. Kurz gesagt, die Frau tut uns allen leid, wenn sie derartige Probleme damit hat, älter zu werden. Natürlich ist das in der Natur ungerecht verteilt, denn während die Männer Haarverpflanzungen brauchen, könnten wir unliebsame Härchen gerne abgeben oder ganz darauf verzichten, denn es ist kein Vergnügen sich der ständigen Ausrupferei derselben auszusetzen. Aber hallo, das nimmt man hin, das ist halt so. Mit achtzig gehe ich dann, bunt bekleidet mit Strohhüten und Tüll drum rum, zu Swingers in den Club und misch die herzlich auf und zwar so lange bis ich freundlich, aber bestimmt vor die Tür gesetzt werde. Geht doch alles, es wird dann heißen die Alte hat einen Knall, was ich grinsend hinnehmen kann, denn auf einen mehr oder weniger kommt es sowieso nicht an. Damit lässt sich gut leben und schmerzhaft ist das auch nicht.  

Seniorentage, oder zufälliges Zusammentreffen einiger vieler Senioren in einem guten Fischlokal in Hamburg, haben etwas, aber man muss nicht Senior sein, um mal für ein paar Stunden auszubrechen, abzuhauen, etwas anderes zu sehen. Macht das mal, manchmal reicht auch eine spontane Stunde, um aus der Alltagsroutine auszubrechen. Tut gut und ist etwas für die Erinnerung an schöne Tage, auch wenn man, aus welchen Gründen auch immer, dunkle Zeiten hat.

 

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