Die leidige Übelkeit

Schwanger werden ist das eine, schwanger sein das andere. Eine Schwangerschaft ist ein natürliches, meist gewolltes Ereignis – ab und zu auch ein unerwünschtes. Letzteres möchte ich außer Acht lassen. Frau ist also schwanger, ganz am Anfang, holt sich bei Verdacht einen Test aus der Apotheke, kontrolliert mit einem zweiten Test den ersten – man will sich ja beim Frauenarzt oder der Frauenärztin nicht gerne zur Deppin machen. Nach dem Termin bei der Ärztin oder dem Arzt des Vertrauens verlässt man schwanger die Praxis. Und dann? Dann geht man durch die Straßen und kein Mensch weiß, dass frau schwanger ist. Niemand sieht es, man kann es noch nicht mal erahnen. Ein merkwürdiges Gefühl. Ich werde Oma und niemand kann es sehen, wenn ich mit meiner Tochter unterwegs bin.

Erinnere ich mich an meine Schwangerschaften, dann habe ich schöne Erinnerungen, keine Übelkeit, keine Probleme, nichts. Alles gut. Ich weiß natürlich, dass nicht immer alles gut ist. Von gut bis monatelang im Krankenhaus liegen hat so eine Schwangerschaft alles parat. Ich kann mich erinnern, dass damals, als wir geheiratet haben, eine Freundin zu unserer Hochzeit mit einem Eimer kam.

Zuerst sah es aus, als bliebe meine Tochter von der morgendlichen Übelkeit verschont. Alles schien gut zu sein, bis es dann leider doch anfing: Mein Kind, das arme, muss sich tagtäglich übergeben, zu Deutsch und platt gesagt: Sie kotzt sich gelegentlich die Seele aus dem Leib.

Als gute Mutter leidet man immer mit, egal ob das Kind hinfällt oder, wie jetzt gerade, unter Übelkeit am Anfang der Schwangerschaft leidet. Natürlich hatte ich als gute werdende Oma entsprechende Tipps parat: vor dem Aufstehen etwas essen und trinken, diesen Tee, jenen Tee, Kopfstand und jede Menge mehr. Dank Internet und Eigeninitiative hat sie selbst allerlei erfolglose Tipps gefunden. Leider hilft, außer den Eimer immer dabeizuhaben, nichts. Was soll ich machen? Ich kann nicht anders, erkläre mich mit meinem Kind solidarisch und bin, solange das anhält, stets mit einem Eimer unterwegs. Diese haben, je nach Anlass, verschiedene Größen, Formen und Farben. Zu einem einfachen Einkauf nehme ich den großen in roter Farbe. Da kann ich dann einen Teil der Einkäufe gut unterbringen. Zum Kaffeeplausch mit meiner Freundin passt der mittlere, brombeerfarbene hervorragend zu meinen schwarzen Jeans und dem rosa Shirt. Als wir, der werdende Opa und ich, kürzlich zu einem eleganten gesellschaftlichen Ereignis eingeladen waren, da war der kleine, niedliche Eimer, in dem zuvor saure Gurken schwammen, mein Begleiter. Ich habe ihn außen mit grünen Gurken beklebt und dekoriert, nur das Schild mit der Aufschrift „Saure Gurken“ habe ich gelassen.

Es sah schon komisch aus, wie wir zu dem Ball gingen: der werdende Opa im Smoking, passendes Hemd, Lackschuhe und Fliege. Ich, die werdende Oma, ein bodenlanges, elegantes Abendkleid mit Dekolleté, eine neue, superschicke Clutch, passend zu meinen High Heels, unter dem linken Arm, während das Saure-Gurken-Eimerchen sanft an meinem rechten Handgelenk hin- und herschaukelte. Das war ein Auftritt! Die Leute haben sich nach uns, mehr nach mir, umgedreht. Der werdende Opa nahm, nachdem wir die Treppe majestätisch erklommen hatten, dezent ein wenig Abstand von mir. Wir betraten den Ballsaal und schauten uns nach unserem Tisch um.

Eine etwas drallere Alte, deren Kopf eine Pudelfrisur zierte, schaute sich ihrerseits nach uns um, während sie weiterlief. Unverhohlen drehte sich ihr Kopf auf ihrem Hals immer weiter nach uns um. Der Kellner, der das Tablett mit den vollen Sektgläsern sicher über alle Köpfe hinwegbalancierte, tat es ihr gleich, während er sich sicher überlegte, welchen Schnaps ich in meinem Eimerchen hatte. Ich sah es kommen, doch noch bevor ich „Achtung!“ rufen konnte, stießen sie zusammen. Das Tablett mit den vollen Sektgläsern schaukelte zuerst bedrohlich, geriet dann aus dem Gleichgewicht und folgte schließlich dem Gesetz der Schwerkraft.

Pudelfrisur, die nicht von langer Körpergröße war, landete in Reichweite des Sektes, der in den Locken und dem Abendkleid gänzlich verschwand. Als Folge des zusätzlichen Gewichts lösten sich die Pudellocken daraufhin vollkommen auf und hingen in nassen Strähnen an ihrem Kopf. Nun hat der Ausdruck „begossener Pudel“ nicht nur eine besondere Bedeutung für mich, sondern ich weiß jetzt, wieso man so sagt. Später am Buffet traf ich sie wieder. Sie war einigermaßen restauriert, roch wie nach einem Sektgelage. Sie bemühte sich, mich keines Blickes zu würdigen, und hielt den Kopf stur geradeaus, während ihre Augäpfel in ihrem Augenwinkel festgeklebt schienen. Meine Mutter sagte immer: „Kind, schiele nicht, sonst bleiben dir eines Tages die Augen stehen!“, was ich als Kind natürlich geglaubt habe.

Ihr Begleiter war ein hagerer, knochiger Mann, der genüsslich seinen Teller mit Kartoffelsalat und Schweinebraten vollschaufelte, als ihn seine Begleiterin anstieß und ihm zuflüsterte, dass sie es nun genau wissen wolle – ob ich mein Eimerchen zum Zwecke der Nahrungsmittelbeschaffung dabeihätte. Der werdende Opa war während meines Ganges zum Buffet sicherheitshalber am Tisch sitzen geblieben.

So sehr ich mich an meine Eimer als ständige Begleiter auch gewöhnt habe, aber nach diesem Ereignis wüsste ich es sehr zu schätzen, wenn das nun endlich mal aufhören würde. Nicht weil es mir etwas ausmachen würde, mit den Eimern unterwegs zu sein, sondern weil ich es meiner Tochter sehr gönnen würde, wenn sie endlich diese Schwangerschaft genießen könnte.

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2 Gedanken zu „Die leidige Übelkeit

  1. Schade, im Bekanntenkreis ist gerade niemand schwanger und niemand wird Oma!
    Das ist ein soooo toller Beitrag, der einem die Mundwinkel bis zu den Ohren zieht! Danke dafür! Ich werde weitersuchen nach schwangeren Omis . . . . äh, werdenden Omis . . .!

    • Danke für das Feedback, es tut immer gut ein solches zu bekommen. Ich denke, dass diesen Artikel auch Menschen lesen können, die gerade nicht schwanger sind oder nicht Oma werden. Ich wünsche ein tolles Wochenende.
      Hezrlich
      Die werdende Oma

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