Der werdende Opa

Ich hatte vor einigen Tagen erzählt, dass der Badezimmerschrank des werdenden Opas langsam, aber sicher überquillt. Hier ein Tiegelchen Creme für davor und danach, wovon auch immer. Dort ein Wässerchen für das Gesicht, eins für das Dekolleté, eins für … nein, das wollt ihr nicht wissen. Nun aber der Gipfel: Er hat sich auch zwei Masken gekauft, eine Rubbelmaske der Marke Sandstein und eine Glattziehmaske von Visageglatt. Damit ist es geschehen: Er verbringt nun schon Stunden im Bad. Ich habe gesehen, dass er an der Küche vorbeigeschlichen ist, er nahm an, dass ich ihn nicht bemerke, weil ich intensiv die Zeitung studiert habe. Er schlich immer an der Wand lang, gleich einem Chamäleon, das Muster der Tapete annehmend. Spielte den Unsichtbaren.

Kaum ist die Badezimmertür hinter ihm verriegelt, geht sie fünf Minuten später wieder auf. Er kommt in die Küche, murmelt ein erstauntes „Guten Morgen“, schnappt sich das Vergrößerungsglas, welches noch vom Abend davor auf dem Tisch liegt, und verschwindet wieder im Bad. Was macht er wohl damit? Aha, denke ich, auch er kann die irre groß geschriebenen Gebrauchsanweisungen in sanftem Grau auf weißem Papier nicht lesen. Ich, die werdende Oma, sitze immer noch in der Küche, die Sonntagszeitung habe ich gleich durch. Er ist immer noch im Bad. Ich bin inzwischen mit dem Frühstück fertig. Er ist immer noch im Bad. Ich überlege, ob ich klopfen soll, fragen, ob etwas passiert sei, lasse es dann aber sein. Es wird zehn Uhr, es wird elf Uhr, was macht er nur da drin. So lange braucht keine Frau. Ich klopfe, er brummelt, es sei alles in Ordnung. Plötzlich dreht er das Radio lauter, ich kann es durch die geschlossene Tür hören, verstehe aber nicht, worum es geht. Er reißt kurz darauf die Tür auf, stürmt, mit seinem Handy in der Hand, dem Handtuch um die Hüfte, an mir vorbei ins Schlafzimmer. Ich steh wie versteinert im Flur, denn er trägt gerade die Glattziehmaske auf seinem Gesicht. Zum Glück ist es nicht die Gurkenmaske, deren Ingredienzien nun im ganzen Flur verteilt wären.

Ich will ihm ins Schlafzimmer nachgehen, da kommt er mir eben entgegen: Nein, nicht im Adamskostüm. Im Fantrikot des 1. FCK, für Nichtfußballfans: des 1. FC Kaiserslautern, einem der Clubs, die in Deutschland Fußballgeschichte geschrieben haben, dem Heimatverein Fritz Walters, einem Spieler der 54er-Weltmeistermannschaft. Die Maske auf dem Gesicht des werdenden Opas, inzwischen erstarrt, hindert ihn daran, verständlich zu sprechen. Aufgeregt fuchtelt er wie wild mit seinem Handy in der einen, einem weiteren Trikot in der anderen Hand herum, zeigt auf das Display, worauf geschrieben steht: „Habe für euch zwei Karten für das Pokalspiel Hertha BSC gegen 1. FC Kaiserlautern am 20.12. in Berlin.“ Da steht er nun, der werdende Opa: rot-weißer Schal, Shirt, das ein wenig in Bauchhöhe spannt, mit der Aufschrift 1. FCK, alles in rot-weiß. Die roten Teufel vom Betzenberg. Seine Hand streckt mir das Shirt entgegen, ich ahne Böses.

Er will ins Stadion gehen, am 20.12., wenn sich in der Pokalrunde Hertha BSC und der 1. FC Kaiserslautern gegenüberstehen. Aufgeregt versucht er, weiterzusprechen, worauf ich ihm den guten Rat gebe, endlich diese Maske vom Gesicht zu nehmen, sonst erstarre seine Mimik noch, als hätte er sich Botox gespritzt. Sofort rennt er ins Bad, kommt wenig später, immer noch ganz aufgeregt, zu mir in die Küche und fragt mich, was ich davon halten würde. Grundsätzlich habe ich natürlich nichts dagegen, aber im Speziellen würde ich mir das überlegen wollen, weil ich keine Ahnung habe, wie es ankommt, wenn wir im Trikot der Gegner von Hertha BSC in deren Block im Stadion erscheinen würden. Das haben wir schon mal gemacht, als der MERC bei den Preußen Berlin Eishockey spielen sollte. Gut, die Preußen hatten damals gewonnen und ja, ich konnte mich nicht beherrschen und habe gejubelt, als der MERC ein Tor geschossen hat.

Mal ehrlich, würdet ihr das tun? Bei – es soll ja angeblich ein kalter Winter kommen – vielleicht Eiseskälte im Block einer gegnerischen Mannschaft stehen und das auch noch im Trikot der anderen? Natürlich wäre auch ein warmer Sitzplatz angenehm, aber nach dieser Art Eintrittskarte, die ein Bändchen am Handgelenk garantiert, sieht das nicht aus. Außerdem sind bei der zu erwartenden Kälte wegen des vorangeschrittenen Alters des werdenden Opas und der werdenden Oma Gelenkzipperlein programmiert. Anstatt jetzt für die Schönheit zu sorgen, sollte der werdende Opa schleunigst seinen Body trainieren, damit er schnell wird, für den Fall, dass Kaiserslautern gewinnen sollte, was sie sicher tun, und wir aus dem Herthablock flüchten müssen. Gut möglich, dass unsere Adrenalinproduktion an diesem Abend wie ein Jungbrunnen wirkt, aber sicher ist das nicht.

Merkwürdig finde ich das schon, wenn ich mir das recht überlege – wir haben gar keine Fankleidung vom 1. FC Kaiserslautern, außer einem gemeinsamen Schal. Und was ist das für ein seltsames, von tiefem Grunzen unterbrochenes Geräusch? Ich schlage meine Augen auf, schaue mich um. Ich bin in unserem Schlafzimmer, und neben mir liegt der werdende Opa selig und leise schnarchend im Bett.

 

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